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Gestartet sind wir mit Maren Eichler, Kostümbildassistentin, gefolgt von Pascal Biermann, Produktionsleiter und Vivian Andres, Kamerabühne (Grip). Jetzt geht es weiter mit Hagen Rohling, Produktionsfahrer:
Geboren 1994, Studium der Philosophie in Berlin bis 2016. Wurde über ein Praktikum am Set zunächst Set Runner und schließlich Fahrer. Fährt seit 2017 für zahlreiche Kinofilme sowie TV- und Streaming-Produktionen, bei denen namhafte Schauspieler*innen seine Fahrgäste sind. Lebt in Berlin.
Juli 2022
Ich wollte immer schon zum Film. Regie ist das, was mich immer angetrieben hat und wohin ich wollte. Ich wusste nur ganz lange nicht, wie das funktioniert. Ich hatte vor mich an der Filmhochschule zu bewerben und da wird in der Regel vorab ein Praktikum verlangt. im Sommer 2016 habe ich ein stinknormales Set-Runner-Praktikum bei Der Bergdoktor in Tirol gemacht. Da habe ich festgestellt: Man kann hier ja einfach arbeiten. Das ist kein abstraktes Arbeitsumfeld, in das man nur mit einem Studium kommt; vielmehr machen die meisten Leute dort einfach ganz normale Jobs.
Du bist nach dem Abitur allerdings erst einen anderen Weg
gegangen.
Ich dachte nach dem Abi: Ich bin erst 18, ich war noch nie am Filmset, ich weiß gar nicht, wie das alles funktioniert, ich würde gern an die Filmhochschule gehen, aber dafür bin ich wahrscheinlich noch zu jung. Deshalb habe ich Philosophie studiert, weil ich mich dafür auch immer interessiert habe. Und nach Ende des Studiums ging es beim Film los.
Wie bist du denn an den Praktikumsplatz beim Film
gekommen?
Ich war mit meiner Schwester und ihrem Freund im Kino und
habe beim Einlass den Beiden erzählt, dass ich gerne ein Praktikum beim Film
machen würde. Das hat der Kartenabreißer gehört und mir gesagt, ich solle doch mal auf dieser Internetseite Crew United nachsehen, da seien immer Jobs ausgeschrieben. Da habe ich mich auf das erstbeste Praktikum beworben, das zeitlich passte.
Wie war dein Eindruck, als du in Tirol zum ersten Mal ans
Set kamst?
Es war im positiven Sinne eine Entzauberung. Ich wusste grundsätzlich, was es für Positionen am Filmset gibt, aber wie der Ablauf ist und wie die Stimmung dort ist, davon hatte ich keine Ahnung. Ich habe relativ schnell gemerkt: Das sind einfach normale Leute, die ihren Job machen. Und der Regie-Teil,
für den ich mich interessiere, das ist nur ein ganz kleiner Teil von dem, was
da passiert. Ich habe festgestellt, dass da 1000 Dinge dranhängen.
Nach dem Praktikum bist du direkt in der Branche geblieben.
Mich hat es gereizt nochmal Set Runner* bei einem größeren Projekt zu machen. Ich habe mich wieder über Crew United auf einen Set-Runner-Job beworben, diesmal für Die kleine Hexe. Der Aufnahmeleiter vom Bergdoktor
hat mich zusätzlich beim Aufnahmeleiter von Die kleine Hexe empfohlen, weil die sich kannten. So habe ich direkt im Anschluss den nächsten Job bekommen. Ich habe mich danach noch ein-, zweimal beworben, aber es lief vor allem durch Empfehlungen oder Leute, die mich schon kannten. Ich hatte beim Bergdoktor den Kolleg:innen ein bisschen davon erzählt, dass ich an der Regie interessiert bin, und das hat sich der 1. Regieassistent gemerkt. Der hat mich im Folgejahr gefragt, ob ich Lust habe auf ein Regiepraktikum. Und im Jahr darauf, 2018, hat er mich als 2. Regieassistenz für einen Kinofilm angefragt. Das war für mich ein Schritt in die richtige Richtung. Als 2. Regieassistenz, auch wenn es mit Regieführen an sich nicht viel zu tun hat, bin ich zumindest in der Abteilung und bekomme in der Vorbereitung sehr viel mit. Das hat sich aber ein bisschen verlaufen. Irgendwann kam ein Fahrerjob daher und ich hatte Zeit – und musste natürlich auch Geld verdienen. Es war gar nicht so gedacht, aber inzwischen habe ich überwiegend Fahrerjobs gemacht, weil dafür die meisten Anfragen kamen.
Was macht ein Produktionsfahrer denn eigentlich?
Der normale Tagesablauf ist: morgens Schauspieler:innen vom Hotel abholen, zum Set fahren, den Tag über Einkäufe oder Abholungen machen und am Ende des Tages die Schauspieler:innen wieder zurückfahren. Dafür sind auch Social Skills nicht unwichtig. Es geht ja darum, dass die Schauspieler:innen
entspannt am Set ankommen.
Gibt es etwas, das du besonders an dem Job schätzt?
Man kommt sehr gut mit den Leuten ins Gespräch, besser als
am Set. Am Set arbeiten die Schauspieler:innen; da eine halbe Stunde ein
Gespräch zu führen, ist schwierig. Im Auto kann man sich dagegen ganz
wunderbar unterhalten, wodurch man gut Kontakte knüpfen kann. Das ist für
mich natürlich sehr wertvoll. Und manchmal fährt man auch die Regie
oder Produzent:innen. Durch einen Fahrerjob 2019 zum Beispiel kam ein
guter Kontakt zu einem Produzenten zustande, der bis heute hält und durch den ich Positionen bei spannenden Projekten bekommen habe. Ich glaube, es geht gar nicht nur darum, dass man seinen Job besonders gut macht, sondern auch ganz stark darum, wie man als Mensch auf andere wirkt. Natürlich wollen alle Kolleg:innen haben, die ihre Arbeit gut machen, aber es wollen sich alle auch mit Leuten umgeben, die sympathisch und vertrauenswürdig sind.
Gibt es auch etwas, was dir an der Arbeit nicht gefällt?
Besonders in den letzten zwei Jahren habe ich immer mehr gemerkt: Der Fahrerjob an sich füllt mich nicht aus. Wenn ich das rein als Job betrachte, gibt es allerdings wenig, was ich ändern würde. Wenn man im Vergleich zu den anderen Positionen einen nicht ganz so vereinnahmenden Job sucht, der im Verhältnis zur Arbeit, die man leistet, gut bezahlt wird, ist man als Fahrer gut bedient. Es gibt manchmal Projekte, bei denen man sich als Fahrer ein bisschen außen vor fühlt, weil man nie richtig am Set ist. Aber das habe ich selten erlebt. Man ist ja auch derjenige, der private Einkäufe für die Schauspieler:innen oder für das Team macht; Zigaretten oder Tabak sind die Klassiker, dafür sind dann alle dankbar.
Würdest du, wenn du mit deinem Wissen von heute zurückblickst, beruflich einen anderen Weg gehen?
Ich glaube nicht. Ich würde nicht sagen, dass ich Projekte oder Entscheidungen bereue. Ich habe gemerkt, dass man immer irgendetwas mitnehmen und irgendjemanden kennenlernen kann. Und auch aus negativen Erfahrungen kann man viel lernen. Beim ersten Praktikum stand ich am Set und hatte auf einmal mit 30 Leuten zu tun, die ich nicht kannte und mit denen ich kommunizieren musste. Wie geht man mit Situationen um, wie mit Menschen, die vielleicht auch ein bisschen schwierig sind? Das war auf jeden Fall ein Prozess, der bei mir vielleicht sogar noch bis heute andauert. Man lernt immer irgendwie dazu.
Würdest du auch das Philosophie-Studium nochmal machen? Du hättest ja vermutlich auch nach dem Abitur schon das Praktikum beim Bergdoktor machen und in die Branche einsteigen können.
Vielleicht würde ich es tatsächlich nicht machen und meine Filmlaufbahn ein bisschen vorverlegen. Mich hat Philosophie immer interessiert, aber das Studium war sehr verschult auf Lehramt ausgerichtet. Ich würde auch nicht sagen, dass mein Studium mich als Mensch weitergebracht hat. Das hätte ich mir für meine Filmkarriere vielleicht tatsächlich sparen können.
Das heißt du würdest den Weg, einfach mal in die Filmbranche zu gehen und zu gucken, was man kann und möchte, weiterempfehlen?
Auf jeden Fall! Wenn man filmverrückt ist, oder einen irgendetwas anderes daran reizt, kann man mit einem Set-Runner*-Praktikum am besten einsteigen. Man kann natürlich auch mit einem Praktikum in einer anderen Abteilung anfangen. Aber beim Set-Runner-Praktikum ist man von Anfang an direkt am Set und bekommt richtig viel mit. Außenstehende haben oft nicht so richtig ein Bild davon, was in der Filmwelt passiert. Wenn man erstmal drin ist, kann man sich entsprechend seiner Interessen und Fähigkeiten orientieren.
Wie bewertest du die Arbeitsbedingungen in der Branche,
zum Beispiel die kurzen Anstellungen und die langen Arbeitstage? Ist das ein
Thema für dich?
Ich empfinde das zum Teil als großen Vorteil. Wenn ich
zwischen Projekten frei habe, kümmere ich mich um eigene Kurzfilmprojekte. Das könnte ich nicht, wenn ich festangestellt wäre. Auch sonst gibt es einem viele Freiräume. Das ist etwas, was ich ganz attraktiv finde, auch weil Projekte sehr anstrengend sein können. Ich kenne Kolleg:innen, die ein Jahr mehr oder weniger ohne Pause durcharbeiten, was bei Arbeitstagen von 12 Stunden sehr belastend werden kann. Die eigene Gesundheit sollte man nicht vernach-lässigen. Viele sagen auch, Arbeit beim Film wäre ein Beziehungskiller. Ich weiß, dass das ein Problem ist, aber ich kenne viele Leute, bei denen das toll funktioniert. Bei mir auch. Es kommt immer darauf an, in welcher Lebensphase man ist. Man ist zwar für zwei, drei Monate extrem eingebunden, aber man verdient beim Film ja relativ gut und kann sich entsprechend Geld ansparen. Oft sammelt man so viele Überstunden, dass man bei einem dreimonatigen Projekt noch einen Monat länge angestellt ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Festanstellung in Zukunft zu mir passt.
Du hast schon verschiedene Jobs beim Film gemacht und
kannst es vergleichen: Sind die Arbeitsbedingungen als Produktionsfahrer
vergleichsweise entspannter?
Als Produktionsfahrer hatte ich auf jeden Fall immer die
verhältnismäßig entspannteren Jobs. Es kann auch anstrengend sein, man kann auch lange Tage haben, aber als Fahrer sollte man ja wach und ausgeruht sein, weil man Leute transportiert. Deswegen gibt es die Regel, zwölf Stunden
Arbeitszeit nicht zu überschreiten und schon gar nicht die Ruhezeit* zwischen
den Arbeitstagen zu unterschreiten. Am Set ist oft Chaos, Leute rennen hin und
her, Dinge müssen ganz schnell passieren, als Fahrer hat man einen relativ
klaren Tagesablauf. Man ist nur ins Set eingebunden, wenn man beispielsweise
bei Fahraufnahmen das Begleitfahrzeug fährt.
Wenn du eigene Kurzfilme umsetzt, wie gehst du da vor?
Wie bekommst du die Leute dafür zusammen?
In der Vergangenheit habe ich das in sehr kleinen Teams und
überwiegend mit Freund:innen, die gar nicht beim Film arbeiten, umgesetzt.
Aber über die Jahre konnte ich einfach viele Kontakte sammeln. Meinen letzten
Kurzfilm konnte ich deshalb mit einem Team aus ca. 15 befreundeten Kolleg:innen drehen. Nicht nur als Gefallen für mich, sondern einfach auch aus Spaß an kreativer Arbeit. Viele junge Filmschaffende machen solche No-Budget-Projekte gerne mit.
Ist dein Antrieb dabei vor allem deine Leidenschaft oder
geht es dir auch um deine Karriere?
Vor allem meine Leidenschaft. Regieführen fasziniert mich und ich spüre den Drang dazu. Wenn ich einen Kurzfilm beendet habe, ist das sehr erfüllend. Am Ende steht natürlich die Hoffnung, dass auch andere Menschen meine Filme mögen. Und dass ich damit irgendwann Geld verdienen kann.
Ich würde gerne noch über deine Filmhochschulbewerbungen
sprechen. Wie oft hast du dich wo beworben?
Ich habe mich seit 2016 jedes Jahr mindestens an einer
Filmhochschule beworben. Ich habe die großen Filmhochschulen alle durch,
Ludwigsburg, München, Berlin, Babelsberg. Ich habe mich auch einmal in Wien
beworben. Ich bin noch nicht mal irgendwo in die zweite Runde gekommen. In
Babelsberg werden zum Beispiel jedes Jahr acht Regiestudierende angenommen und es bewerben sich zwischen 400 und 500 Leuten. Da ist die Wahrscheinlichkeit sehr gering.
Wirst du dich weiter bewerben?
Kann ich noch nicht sagen. Falls der Kurzfilm, den ich zuletzt gedreht habe, thematisch passt, schließe ich nicht aus, den an Filmhochschulen einzureichen.
Wenn du es aussuchen kannst, wie geht es bei dir in den
nächsten zwei, drei Jahren weiter?
Ich kann schwer sagen, wie es im besten Fall in den nächsten
Jahren abläuft. Mit meinem aktuellen Kurzfilmprojekt möchte ich mir vor allem
selbst beweisen, dass das mit der Regie keine Schnapsidee ist. Die letzten
Jahre war es überwiegend so, dass ich meine Kurzfilme für
Filmhochschulbewerbungen gedreht habe. Das hatte zur Folge, dass ich unter
Zeitdruck stand. Auch wenn ich wusste, dass es Unsinn ist, habe ich
unterbewusst überlegt, was die denn sehen wollen. Ich war nie zufrieden mit
dem Ergebnis. Deswegen dachte ich: Ich nutze die Kontakte, die ich habe,
produziere selbst etwas, was ein bisschen aufwendiger ist, und wenn am Ende
dabei etwas rauskommt, was ich gut finde, kann ich danach sehen, was ich mit
dem Kurzfilm mache. Manchmal kann man ja Glück haben und irgendjemand mit Entscheidungsgewalt sieht den. Aber das ist nichts, auf das ich hinarbeite. Es geht mir ja vor allem darum, mich kreativ auszuleben. Regisseur zu
werden ist eigentlich eine dämliche Berufsidee; es ist so unwahrscheinlich,
dass man damit seinen Lebensunterhalt finanzieren kann. Ich werde sicher auch noch Fahrerjobs annehmen. Ich muss ja auch Miete zahlen und an sich mag ich die Arbeit schließlich auch. Aber ich will nicht in drei Jahren weiterhin meinen Fahrgästen erzählen, dass ich eigentlich ja Regie machen will.
Ist es Stand jetzt vorstellbar, dass du auch in 35 Jahren
in irgendeiner Form beim Film arbeitest?
Ich wüsste tatsächlich nicht, was ich sonst machen soll.
Ich hatte in den letzten Jahren ein, zwei Projekte, bei denen ich kein Fahrer
war und die sehr, sehr anstrengend waren. Danach dachte ich: Das macht mich
nicht glücklich, ich bin so kaputt, das möchte ich nicht weiter so haben. Mein
nicht ganz ernstgemeinter Plan B war dann, eine vegane Konditorei aufzumachen. Aber ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass ich die Filmbranche verlasse. Aber wie genau mein Weg aussieht kann ich nicht sagen.
Vielen Dank und viel Erfolg, Hagen!